Aus der Einleitung

 
Buch

Frank Wiggermann
Rückfahrkarte Demokratie

Graf-Friedrich-Schule in Diepholz (1923–2023): Die lange Geschichte einer höheren Schule im kurzen 20. Jahrhundert
224 Seiten, 100 teilw. farb. Abb., Pb., 20,00 Euro
ISBN 978-3-89728-087-8

  

Prolog im Kaiserreich

Am Anfang war die Königlich Preußische Präparanden-Anstalt in Diepholz. Diese Schule „präparierte“ ihre Zöglinge für die weiterführenden Seminare der angehenden Volksschullehrer. Die ersten Schritte datieren allerdings mit Volksschullehrer Friedrich Grelle (1836–1922), der bereits Ostern 1864 einen Schüler in seinem Haus in Burlage aufgenommen hatte, um ihn privat auf das Lehrerseminar vorzubereiten. Nach vier Jahren waren es bereits sieben. Im Jahr 1868 an die Volksschule in Diepholz versetzt, avancierte der begabte Grelle 1874 zum Vorsteher der neu errichteten staatlichen Präparandenanstalt auf dem Willenberg in Diepholz. Die Anstalt für angehende Volksschullehrer war evangelisch und hatte zwei, später drei aufsteigende Klassen.

Den Neubau an der Diepholz-Nienburger Landstraße (Wilhelmstraße, seit 1933 Hindenburgstraße) konnte die Präparandenanstalt am 12. Oktober 1885 in Gebrauch nehmen. Damit war der Altbau der nachmaligen Graf-Friedrich-Schule geboren. Das Gebäude, ein massiver Steinbau (verputzter Ziegelbau), lag mit seinem Haupteingang an der Diepholz-Nienburger Landstraße – links der Gemüsegarten (24m x 54m), in der Mitte das Hauptgebäude (hinter einem Vorgarten), rechts der Turnplatz. Der Leiter der Präparandenanstalt, dessen Dienstwohnung im Schulgebäude lag, sollte sich mit Wirtschaftsräumen, Hof und Garten selbst versorgen können. Grelles Wohnräume lagen im ersten Stock des Hauptgebäudes links: Vier heizbare Zimmer hatte er, Küche und Speisekammer – getrennt von den Anstaltsräumen. Im ersten Stock rechts war die über 100 m2 große Schulaula untergebracht. Im Erdgeschoss wurden die Schulräume eingerichtet – drei Musikzimmer, eine Bibliothek und zwei Klassenzimmer (etwa 40 m2 groß, mit drei Fenstern). Im Nebengebäude befanden sich der Schweine- und Ziegenstall, der sogenannte Torfstall und die Waschküche für den Lehrer. Draußen (im Schuppen hinter dem Nebengebäude): das Pissoir, von den Schülern dann auch „Pissstall“ genannt.

Ursprünglich hatte man die Anlage anders entworfen: Auf beide Stockwerke verteilt hätten nach Westen die Wohnräume gelegen, nach Osten die Klassenzimmer (das eine unten, das andere oben). Es hätte nur einen Musikraum und keine Aula gegeben. Diese Vermischung von Wohnen und Arbeiten auf beiden Stockwerken wäre wohl nicht zum Vorteil des Schulleiters gewesen.

Im neuen Schulgebäude der Präparandenanstalt wohnte seit 1885 auch der Hausmeister. Die äußere Architektur des Gebäudes war relativ schlicht, der Bau asymmetrisch. Hervor trat der Giebelrisalit mit den drei rundbögigen Aulafenstern. Bei sparsam eingesetztem Dekor fielen die Fensterumrahmungen in den Blick, sodass das Auge des Betrachters an den Aulafenstern hängenblieb. Die Bedeutung der Aula lag auf der Hand: Sie war wie ein Kirchenraum gestaltet; hier sollten Andachten und Vorträge gehalten sowie Feste gefeiert werden. Ein leicht vortretendes Gesims trennte den ersten Stock vom Erdgeschoss.

Die Präparandenanstalt war die unterste Stufe der Volksschullehrerausbildung ohne Abitur. Die Präparanden, die von Volks- und Mittelschulen kamen, wurden in einem dreijährigen Kursus in drei aufsteigenden Klassen auf die weiterführende Volksschullehrerausbildung in Lehrerseminaren vorbereitet („präpariert“). Die Schüler kamen in der Regel mit 14 Jahren auf die Präparandenanstalt, jedenfalls nach der Konfirmation. An die Präparandenausbildung in Diepholz schloss sich in Verden das Königliche Seminar an, wo man nach drei weiteren Jahren die erste Lehrerprüfung ablegte. Der einflussreiche preußische Kultusminister Adalbert Falk (1872–1879) hatte diesen staatlichen Ausbau der preußischen Lehrerbildung entschieden vorangetrieben.

Der spätere Vorsteher Friedrich Meyerholz (der Gründervater Grelle hatte 1903 um seine Pensionierung gebeten) zog in die neue Dienstvilla neben dem Diepholzer Schulgebäude ein, nachdem die ursprünglichen Wohnräume des Leiters dank wachsender Schülerzahlen (über 100) zu Schulräumen hatten umgebaut werden müssen. Schon die Präparanden wohnten privat in Diepholzer Bürgerhäusern. Es durften nur solche Zimmer gemietet werden, deren Wahl der Vorsteher der Anstalt genehmigt hatte. Allein dieser Vorbehalt lässt auf Missstände und auf das Bedürfnis nach Sozialkontrolle schließen. Sicherlich hat mancher Präparand auch Diepholzer Mädchen im entsprechenden Alter nachgestellt.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam Hilfslehrer Wilhelm Kinghorst (1877–1947) an die Präparandenanstalt zurück, die der geborene Diepholzer selber absolviert hatte. Nun befand sich Kinghorst unter den drei Lehrkräften der Anstalt (1900–1905) und hatte in seiner Heimatstadt eine lange Karriere vor sich, von der er noch nichts ahnen konnte. Politisch sympathisierte Kinghorst um die Jahrhundertwende mit dem nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Hermann Wamhoff, einem durchaus regierungs- und preußenfreundlichen Landwirt, der 1899 den Wahlkreis Hannover 5 (Melle – Diepholz) von den „Welfen“ eroberte.

Kinghorst, Sohn eines Diepholzer Lohgerbermeisters, arbeitete sich nach einer wissenschaftlichen Weiterbildung in Berlin zum ordentlichen Seminarlehrer hoch (1907). Aber er wollte studieren, erwarb am Realgymnasium zu Quakenbrück das Reifezeugnis, mit dem er sich in Münster 1909/10 immatrikulierte. 1912 zum Dr. phil. promoviert, hat er die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen bestanden. Anschließend lehrte er an verschiedenen staatlichen Seminaren im Westfälischen. Als Studiendirektor leitete Kinghorst seit 1927 die staatliche Aufbauschule in Petershagen, bis er am 1. April 1931 als Leiter der Graf-Friedrich-Schule abermals nach Diepholz zurückkehrte. Damit war Kinghorst endgültig vom einfachen Schulmeister zum akademischen Direktor avanciert. Zeit seines Lebens trieben den ledigen Schulleiter seine regionalhistorischen Interessen um: die Grafschaft Diepholz zur Zeit ihres Überganges an das Haus Braunschweig-Lüneburg; die kirchlichen Verhältnisse in der Grafschaft Diepholz zur Zeit der Einführung der Reformation und die Verfassung der Stadt Diepholz.

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