Aus dem Nachwort

 
Buch

Frank Wiggermann
Rückfahrkarte Demokratie

Graf-Friedrich-Schule in Diepholz (1923–2023): Die lange Geschichte einer höheren Schule im kurzen 20. Jahrhundert
224 Seiten, 100 teilw. farb. Abb., Pb., 20,00 Euro
ISBN 978-3-89728-087-8

  

Postscriptum

Die Drucklegung der Schulgeschichte ist in eine dramatische Zeit gefallen. Aber die dramatis personae im Frühjahr 2020 sind weder Schülerinnen und Schüler noch Lehrkräfte in Diepholz. Ein heimtückisches Virus hat weltweit, wohl ausgehend von China, Wirtschaft und Gesellschaft lahmgelegt. Ein abschließendes historisches Urteil lässt sich nicht fällen. Aber die Folgen der Globalisierung scheinen der Menschheit in kürzester Frist auf die Füße gefallen zu sein. Überbevölkerung und (fast) schrankenlose Mobilität haben in den vergangenen Jahren Überlebensregeln der Natur außer Kraft gesetzt. Eine solche Regel ist Abstand, zwischen Tier und Mensch und zwischen den Kontinenten.

Gleichzeitig mussten die Menschen lernen, dass es keine exakten Wissenschaften gibt und die Naturwissenschaften in erster Linie Hypothesen bilden, die in kürzester Zeit falsifiziert werden. Jeden Tag entsteht neues Wissen über das Virus. Sehr unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen und Pop-Virologen prallen aufeinander. Ob die Menschheit in ein pandemisches Zeitalter eintritt, muss abgewartet werden.

Am Freitag, dem 13. März 2020, schlossen alle niedersächsischen Schulen ihre Tore. Nach einer ersten lähmenden Starre haben das Land Niedersachsen und die Graf-Friedrich-Schule das digitale Lernen von zu Hause initiiert und gleichzeitig eine Notbetreuung im Gymnasium sichergestellt. Den wenigen Jugendlichen, welche die Notbetreuung in Anspruch genommen haben, kam die Oase des Biogartens zugute. Mario Reimer (Physik, Mathematik) hat den schulischen 3D-Drucker für die Produktion von Masken in Gang gebracht.

Seit April 2020 arbeiten Schulleitung und Lehrkräfte daran, die Formate des digitalen Lernens zu standardisieren, aber rasch stellte sich heraus, dass ein erheblicher Teil der Schülerschaft nicht auf geeignete Endgeräte im familiären Haushalt zurückgreifen konnte. Das Wischen über die Oberflächen der Smartphones hatte in vielen Familien die Möglichkeiten digitaler Textverarbeitung verdrängt.

Seit Mai kehren die (halbierten) Klassen und Jahrgangsstufen (nach einem Stufenplan des niedersächsischen Kultusministeriums) in einem wöchentlichen Wechsel in die Räume der GFS zurück. Niedersachsen ist mit dem vorsichtigen Vortasten bislang gut gefahren.

Bis zum 15. Juni soll in allen Klassen wieder unterrichtet werden. Ein hybrides Lernmodell, der wöchentliche Wechsel zwischen analogem und digitalem Lernen, wird die Schülerinnen und Schüler für längere Zeit begleiten und bedeutet einen erheblichen Aufwand für Lehrende und Lernende. Klassenfahrten sind auf unabsehbare Zeit gestrichen. Auch Global Classroom ist der Pandemie zum Opfer gefallen. Die GFS hätte im Sommer 2020 den Gastgeber des weltweiten Treffens spielen sollen.

Gleichwohl: Was hätten die Schülerinnen und Schüler der Graf-Friedrich-Schule 1945, im langen Jahr der Anarchie, das sie auf unabsehbare Zeit aus der Bildungslaufbahn geworfen hatte, für einen geordneten Stufenplan gegeben? Und die Kurzschuljahre 1966/67 waren wesentlich kürzer als das ramponierte Schuljahr 2019/20.

Vielleicht lässt sich aus diesen Vergleichen ein Nutzen der Schulgeschichte ziehen. Historisches Erinnern relativiert den aktuellen Schrecken. Geschichtsschreibung dient bestenfalls der Kontingenzbewältigung einer beunruhigten Gegenwart.

 
-->nächste Seite
 
Letzte Änderung: 19.04.2021 · webmaster